Andachten Archive - Seite 10 von 15 - Evangelische Kirchengemeinde Gütersloh

Menschen haben so ihre Macken. Sie auch – mit Sicherheit. Spätestens seitdem ihnen ein netter Mensch einmal gesagt hat, wissen Sie es: „Sie haben eine Macke.“ Macken sehen unterschiedlich aus und beschreiben eine Eigenart am Menschen, die überzogen erscheint: zu penibel, besserwisserisch, unordentlich, zu fixiert, zu introvertiert, zu extrovertiert, zu äußerlich, zu hilfsbereit, zu bequem … Was ist Ihre Macke?

Eine der vielen Macken, die Menschen so haben können, ist Überheblichkeit. Sie mündet meist in Ausgrenzung und in das Gefühl „Wir sind besser.“

Um das Jahr 55 schreibt der Apostel Paulus einen langen Brief an die junge christliche Gemeinde in Rom. In den Kapiteln 9-11 dieses Briefes geht es um das damals schwierige bis feindliche Verhältnis von Christen und Juden. Beide Seiten beleidigen sich und fühlen sich jeweils als die Erwählten und Besseren. Es fallen auf christlicher Seite Worte wie Verstockung, Gottlosigkeit, Ungehorsam, Sünden, Feinde. Paulus nimmt die damals in vielen christlichen Gemeinden umlaufenden Vorwürfe auf und stellt Gottes Eigenart gegenüber: Treue und Barmherzigkeit. Gott ist treu, denn er hält an seiner Berufung des Volkes Israel fest. Für alle Menschen gilt: Sie sind angewiesen auf seine Barmherzigkeit. Alle sind von Gott berufen, sein Volk zu sein. Eine Herabsetzung oder Ausgrenzung kann es nicht geben.

Das Wort „Macke“ kommt aus der hebräischen Sprache und ist über das Jiddische in unsere Sprache gekommen. Macke heißt übersetzt: Fehler, Schlag, Plage.

 

Es war über Jahrhunderte ein Schlag gegen Gottes Gebot der Nächstenliebe, dass Menschen jüdischen Glaubens ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben und ermordet wurden.

Es ist eine Plage, dass die dahinter stehende Überheblichkeit und Judenfeindlichkeit in vielen Köpfen wieder um sich greift. Sie äußert sich in verbalen wie körperlichen Angriffen und Verschwörungstheorien. Eine der aktuellen Theorien führt dabei das Corona-Virus auf ein Labor in Israel zurück.

Es ist ein Fehler, dieser Menschenfeindlichkeit nicht entgegenzutreten. Paulus schreibt und bezieht Stellung in seinen Briefen.

Gott ist treu und er hält an seinen Zusagen fest. Das ist seine Eigenart und wie wir heute auch sagen würden – weil wir diesem Wort mittlerweile eine andere Bedeutung geben – seine liebevolle Macke, von der er nicht lassen kann. Ebenso nicht von seiner Barmherzigkeit, die allen Menschen gilt.

 

Gebete und Texte für den 10. Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag)

Psalm 122

Ich freute mich über die, die mir sagten:
Lasset uns ziehen zum Hause des HERRN!
Nun stehen unsere Füße
in deinen Toren, Jerusalem.
Jerusalem ist gebaut als eine Stadt,
in der man zusammenkommen soll,
wie es geboten ist dem Volke Israel,
zu preisen den Namen des HERRN.
Wünschet Jerusalem Frieden!
Es möge wohlgehen denen, die dich lieben!
Es möge Friede sein in deinen Mauern
und Glück in deinen Palästen!
Um meiner Brüder und Freunde willen
will ich dir Frieden wünschen.
Um des Hauses des HERRN willen, unseres Gottes,
will ich dein Bestes suchen.

 

Evangelium nach Markus 12, 28-34

Einer der Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten, trat zu Jesus. Als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen?
Jesus antwortete: Das höchste Gebot ist das: "Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft" (5. Mose 6,4-5). Das andre ist dies: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Ja, Meister, du hast recht geredet! Er ist einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit aller Kraft, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.
Da Jesus sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.

 

Predigttext Römerbrief 11, 25-32

Ich will euch, Brüder und Schwestern, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Heiden hinzugekommen ist.
Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): "Es wird kommen aus Zion der Erlöser; der wird abwenden alle Gottlosigkeit von Jakob. Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde."
Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen.
Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.
Denn wie ihr einst Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams,
so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.
Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.

 

Fürbitten

Barmherziger Gott, Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs und Vater unseres Herrn Jesus Christus.

Wir bitten dich für die Menschen jüdischen Glaubens in Israel und in aller Welt, dass sie in Frieden leben können, dass sie Aner­kennung und Heimat finden und keine Angst um ihr Leben haben müssen.

Wir bitten dich für das Land Israel und seine Nachbarn, dass Hass und Feindschaft überwunden werden; dass die Menschen in friedlicher Nachbarschaft miteinander leben können und Gemeinsames gesucht und gefunden wird.

Wir bitten dich für Juden, Christen und Moslems, dass Menschen verschiedenen Glaubens einander mit Achtung begegnen, dass wir Verbindendes und Trennendes akzeptieren und miteinander nach Gottes Willen fragen.

Wir bitten dich für alle Menschen, die unter Krieg und Hunger leiden, für die Opfer von Katastrophen und Gewalt, in diesen Tagen besonders an die Menschen in Beirut und Libanon, dass ihnen alle erdenkliche Hilfe zukommt.

Wir bitten dich für alle Menschen, die sich nach Gerechtigkeit und Frieden sehnen, die im Blick auf die Not in der Welt Schmerz und Traurigkeit empfinden, dass ihre Tränen getrocknet werden und sie deiner Barmherzigkeit und Treue gewiss sind.

Lass uns alle miteinander das Leben finden, wie du es verheißen hast, Herr, unser Gott.

Wir beten mit den Worten deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsre Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft
und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.


Ihr Pfarrer Christian Feuerbaum

Predigt über Johannes 9,1-7

Liebe Leserin, lieber Leser,
als Predigttext ist für den heutigen Sonntag ein Abschnitt aus dem Johannesevangelium vorgeschlagen: Die Geschichte von der Heilung des Mannes, der blind geboren wurde.*

1 Im Vorbeigehen sah Jesus einen Mann, der von Geburt an blind war.
2 Da fragten ihn seine Jünger: »Rabbi, wer hat Schuld auf sich geladen, sodass er blind geboren wurde – dieser Mann oder seine Eltern?«
3 Jesus antwortete: »Weder er selbst hat Schuld auf sich geladen noch seine Eltern. Er ist nur deshalb blind, damit das Handeln Gottes an ihm sichtbar wird.
4 Wir müssen die Taten vollbringen, mit denen Gott mich beauftragt hat, solange es noch Tag ist. Es kommt eine Nacht, in der niemand mehr etwas tun kann.
5 Solange ich in dieser Welt bin, bin ich das Licht für diese Welt
6 Nachdem er das gesagt hatte, spuckte er auf den Boden. Aus dem Speichel machte er einen Brei und strich ihn dem Blinden auf die Augen.
7 Dann sagte er ihm: »Geh und wasche dich im Wasserbecken von Schiloach
Der Mann ging dorthin und wusch sich.
Als er zurückkam, konnte er sehen.

„Ich sehe was, was du nicht siehst…“ Erinnern Sie sich noch an dieses Kinderspiel?
Meist ging es darum, Dinge in bestimmten Farben zu erraten.
Mir kommt es so vor, als würde der Evangelist Johannes gerade dieses Spiel spielen, als er die Begegnung von Jesus und dem Blindgeborenen erzählt. Allerdings geht es ihm nicht um Farben, sondern um ganz anderes.

Lassen wir uns mal auf das Spiel ein und hören Johannes zu dem Blinden sagen:
Ich sehe was, was du nicht siehst, du namenloser Blindgeborener: Jesus kommt und sieht dich in deiner Bedürftigkeit, in deiner dunklen Welt. Du bist angesehen von Gott. Kein Wunder, denn Gott hat ein besonderes Auge auf die, deren Augen verschlossen sind.

Ich sehe was, was Ihr nicht seht, liebe Jünger!, setzt Johannes das Spiel fort. Ich sehe einen Blindgeborenen in seiner Not – und Ihr seht ihn nur, um die Schuldfrage zu diskutieren: Wer ist schuld daran, dass er blind ist? Wer hat gesündigt: Seine Eltern? Er selbst? Und die Blindheit – eine Strafe Gottes?

Selber schuld – höre ich auch heute:
Wenn ein Motorradfahrer verunglückt – selber schuld!
Wenn ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer versinkt – selber schuld!
Wenn einer mit Covid19 aus Mallorca zurückkommt und schwer erkrankt – selber schuld!
So machen wir es uns leicht: Selber schuld! Ich bin nicht weiter zuständig.

Johannes sagt: Ich sehe was, was Ihr nicht seht. Ich sehe einen, der sich nicht aus der Verantwortung redet, sondern handelt. Ich sehe Jesus, der tut, was hilft: Spucke drauf!

Das findest du eklig? – Dann denk doch mal zurück, wie es damals war. Als du noch ein Kind warst und hingefallen bist und dein Knie tat dir weh. Mutter wusste, was gegen den ersten Schmerz half: Spucke drauf! Das ist doch genau das, was wir in der Not als erstes brauchen: Dass sich uns jemand liebevoll zuwendet. Seht, wie das hilft!

Und Johannes spielt sein Spiel weiter: Und ich sehe noch was, was Ihr Jünger nicht seht: Jesus bringt Licht, ja er ist das Licht. Und so heilt er.
Gott macht Blinde sehend, den Blindgeborenen und euch.

Und Ihr könnt Licht auf eurem Weg sehen und losgehen und neue Möglichkeiten entdecken für euer Leben, für eure Zukunft.

Irgendwie sind wir Menschen ja alle Blindgeborene. Wir brauchen andere, die uns helfen, die Welt zu sehen: Eltern, Erzieherinnen, Lehrerinnen, gute Freundinnen und Freunde und viele weitere Menschen. Auch der Glaube ist so eine Sehhilfe, um die Welt besser zu erkennen.

Ich sehe noch etwas, was Ihr nicht seht, höre ich Johannes sagen.
Ich sehe, wie blind Ihr seid, die Ihr euch für so klug und hellsichtig haltet. Ich sehe eure Blindheit gegenüber der Not der anderen.

  • Ihr seht weg, wenn Menschen in unserem Land wie Arbeitssklaven gehalten werden, wenn Tiere gequält werden, nur damit billiges Fleisch in Unmengen zur Verfügung steht.
  • Ihr seht weg, wenn die Schöpfung leidet unter eurem eigenen Konsumverhalten.
  • Ihr seid blind gegenüber der Not vieler Kinder, die grausames in ihren familiären Zusammenhängen erleben, seht nicht hin, hört lieber weg.

Dennoch: Gott sieht hin – und sieht auf euch, möchte euch die Augen öffnet, damit ihr lernt, genau hinzusehen – und dann auch handelt.
Gott sieht uns an. Wer darauf vertraut, wird sehend, lernt neu, sich und die Welt zu sehen.

Wer sich von Gott angesehen weiß, kann Schluss machen mit dem andauernden Blick auf sich selbst, kann Schluss machen mit der permanenten Selbstoptimierung, kann frei werden und den Blick nach vorne richten. Sieht was, was andere nicht sehen.

Wer sich von Gott angesehen weiß, kann die Aufgaben erkennen, die sich ihm und ihr stellen, die Verantwortung für die anderen und für die Schöpfung, für „Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit“, wie es im Wochenspruch heißt.

Ich sehe was, was du nicht siehst: Im Vertrauen auf Gottes Angesicht werden Blinde sehend.
Ich sehe was, was du nicht siehst – und das verspricht neues Leben für dich und die Welt!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Fürbitten

Lebendiger Gott, du siehst uns an
und wir sind angesehen in deinen Augen.

Wir bitten dich für alle körperlich blinden Menschen,
lass sie Hilfe und wenn möglich Heilung erfahren.

Wir bitten dich für alle, die im übertragenden Sinn blind sind,
sei es aus Angst vor der Wirklichkeit,
sei es aus Selbstzufriedenheit und Ignoranz.
Gib ihnen die Kraft, ihre Augen zu öffnen
und hinzusehen.
Gib ihnen den Mut, neue Wege zu gehen.

Wir bitten dich für uns selbst,
dass wir dir vertrauen
und mit offenen Augen und wachen Sinnen
durchs Leben gehen.
Dass wir die Aufgaben wahrnehmen,
die sich uns zeigen,
und Verantwortung übernehmen
für die Welt und deine Schöpfung.

 

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung;
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. 

Amen.

Ihr Pfarrer Michael Frentrup

 

*Übersetzung der BasisBibel

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Traust du dich denn überhaupt, zu mir zu kommen?“ Diesen Satz habe ich in den letzten Monaten, in denen das Corona-Virus unser Leben so maßgeblich verändert hat, oft gehört, wenn ich Menschen aus der Gemeinde oder meinem Freundeskreis besuchen wollte. In der Tat zwingt diese Pandemie uns, unsere alltäglichen Vollzüge immer wieder auf die Probe zu stellen: Gefährde ich durch mein Verhalten andere oder mich selbst? Ist es in Ordnung, wenn ich Frau W. zu ihrem 90. Geburtstag wenigstens an der Haustür gratuliere? Verstoße ich gegen die Corona-Schutzverordnung, wenn ich meiner Tochter erlaube, zu ihrem 18. Geburtstag zehn Jugendliche aus unterschiedlichen Haushalten einzuladen? Nie hätte ich mir geträumt, dass ich mich irgendwann mal mit den Folgen einer Pandemie auseinander setzen müsste und manchmal wünsche ich mir ganz klare Handlungsanweisungen, was denn nun geht und was eben noch nicht.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist so eine klare Handlungsanweisung. Das Schreiben an die hebräischen Gemeinden listet klar und prägnant auf, wie man sich zu verhalten hat. Der gesamte Hebräerbrief richtet sich an die jungen Christengemeinden. Bei ihnen herrscht Verunsicherung, sie stellen fest, dass sie mit ihrem Glauben in ihrer Umgebung auf erheblichen Widerstand gestoßen sind, Hoffnungs- und Mutlosigkeit macht sich unter ihnen breit. Der Verfasser des Hebräerbriefs will sie in dieser Situation mit seinem Schreiben trösten und bestärken. Und er verweist sie darauf, dass das eigentliche Ziel nicht ist, sich im Hier und Heute einzurichten, so als ob die vorfindliche Welt die tatsächliche Heimat wäre: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr. 13,14). Wir sind Gäste auf Erden – und als solche sollen wir uns verhalten. Und dann gibt er ganz konkrete Anweisungen an die verunsicherten Menschen, was sie tun oder auch lassen sollen.

 

Hebr. 13, 1-3

1 Bleibt fest in der brüderlichen Liebe.
2 Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.
3 Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene, und an die Misshandelten, weil auch ihr noch im Leibe lebt.

Berechtigterweise könnte man jetzt fragen, ob konkrete Handlungsvorgaben bei den Adressaten genug Mut machen, genug Hoffnung wecken, um in der christlichen Gemeinde beheimatet zu bleiben. Drei Aufforderungen, von denen besonders die zweite für die Menschen als echte Zumutung empfunden worden sein dürfte. „Gastfrei zu sein vergesst nicht“ – sollen sie denn nun wirklich diejenigen, die sie ausgrenzen und demütigen ob ihres Bekenntnisses zum christlichen Glauben, auch noch einladen und bewirten? Einleuchtend ist das zunächst einmal nicht. Doch der Schreiber führt aus: „Denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ Die Bibelkundigen unter den Adressaten werden mit diesem Hinweis erinnert, wieviel Segen in gewährter Gastfreundschaft liegen kann. Im 1. Buch Mose wird von Sara und Abraham erzählt, die drei ihnen unbekannte Männer aufnehmen und bewirten. Gastfreundlich laden sie sie ein, unter dem Schatten des Baumes zu rasten, sie bringen ihnen Wasser, damit sie den Staub abwaschen können und bewirten die drei Fremden anschließend großzügig. Im Laufe des Gesprächs künden die drei Fremden dem so lange kinderlos gebliebenen Paar die Geburt des lang ersehnten Sohnes an. Die Gastfreundschaft, die Sara und Abraham den drei ihnen völlig fremden Menschen gewähren, lässt sie die Erfahrung von etwas Wunderbarem machen: Die Geburt ihres Kindes verwandelt Hoffnungslosigkeit in eine Perspektive, Mutlosigkeit in eine unerwartete Kraft – „...denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ Die drei Fremden, diese Botschafter Gottes, haben Segen über das Haus des alten Ehepaars gebracht. Engel sind Heilsbringer, Hoffnungsboten. Sie vermitteln eine Ahnung davon, dass nichts beim Alten bleiben muss. Davon erzählen die Geschichten der Bibel.

In der Rede vom Weltgericht bringt Jesus zum Ausdruck, dass auf der Aufnahme von Fremden ein besonderer Segen liegen kann: „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“ Und er fährt fort: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Matth. 25, 40)

Wir selber tun uns ja nicht immer leicht damit, den Fremden, den Unbekannten in unser Leben zu lassen. Unser Umgang mit den geflüchteten Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und um unsere Gastfreundschaft bitten, zeigt das recht deutlich. Oft regieren wir eher angstbesetzt und befürchten eine „Überfremdung“ unserer Gesellschaft und den Verlust von eigenem Wohlstand. Vielleicht sollten wir aber mal den Gedanken zulassen, dass uns in diesen Menschen, die aus großer Not und existentieller Bedrohung ihr Zuhause aufgeben mussten, Gott begegnen könnte. Dass Gott es ist, der um Aufnahme und um unsere Hilfe bittet. Wenn wir diesen Gedanken zulassen, dann wird auch eines klar: Gastfreundschaft gegenüber allen Menschen, die uns begegnen, ist Gottesdienst. Im Fremden, dem wir unter uns eine neue Heimat anbieten, kann uns Gott begegnen. „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“

In diesem Sinne wünsche ich uns allen segensreiche Begegnungen als Gast und als Gastgeber!

Ihre Pfarrerin Wiebke Heine

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