Andacht zum Sonntag 26. Juli 2020 von Pfarrerin Wiebke Heine - Evangelische Kirchengemeinde Gütersloh

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Traust du dich denn überhaupt, zu mir zu kommen?“ Diesen Satz habe ich in den letzten Monaten, in denen das Corona-Virus unser Leben so maßgeblich verändert hat, oft gehört, wenn ich Menschen aus der Gemeinde oder meinem Freundeskreis besuchen wollte. In der Tat zwingt diese Pandemie uns, unsere alltäglichen Vollzüge immer wieder auf die Probe zu stellen: Gefährde ich durch mein Verhalten andere oder mich selbst? Ist es in Ordnung, wenn ich Frau W. zu ihrem 90. Geburtstag wenigstens an der Haustür gratuliere? Verstoße ich gegen die Corona-Schutzverordnung, wenn ich meiner Tochter erlaube, zu ihrem 18. Geburtstag zehn Jugendliche aus unterschiedlichen Haushalten einzuladen? Nie hätte ich mir geträumt, dass ich mich irgendwann mal mit den Folgen einer Pandemie auseinander setzen müsste und manchmal wünsche ich mir ganz klare Handlungsanweisungen, was denn nun geht und was eben noch nicht.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist so eine klare Handlungsanweisung. Das Schreiben an die hebräischen Gemeinden listet klar und prägnant auf, wie man sich zu verhalten hat. Der gesamte Hebräerbrief richtet sich an die jungen Christengemeinden. Bei ihnen herrscht Verunsicherung, sie stellen fest, dass sie mit ihrem Glauben in ihrer Umgebung auf erheblichen Widerstand gestoßen sind, Hoffnungs- und Mutlosigkeit macht sich unter ihnen breit. Der Verfasser des Hebräerbriefs will sie in dieser Situation mit seinem Schreiben trösten und bestärken. Und er verweist sie darauf, dass das eigentliche Ziel nicht ist, sich im Hier und Heute einzurichten, so als ob die vorfindliche Welt die tatsächliche Heimat wäre: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr. 13,14). Wir sind Gäste auf Erden – und als solche sollen wir uns verhalten. Und dann gibt er ganz konkrete Anweisungen an die verunsicherten Menschen, was sie tun oder auch lassen sollen.

 

Hebr. 13, 1-3

1 Bleibt fest in der brüderlichen Liebe.
2 Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.
3 Denkt an die Gefangenen, als wärt ihr Mitgefangene, und an die Misshandelten, weil auch ihr noch im Leibe lebt.

Berechtigterweise könnte man jetzt fragen, ob konkrete Handlungsvorgaben bei den Adressaten genug Mut machen, genug Hoffnung wecken, um in der christlichen Gemeinde beheimatet zu bleiben. Drei Aufforderungen, von denen besonders die zweite für die Menschen als echte Zumutung empfunden worden sein dürfte. „Gastfrei zu sein vergesst nicht“ – sollen sie denn nun wirklich diejenigen, die sie ausgrenzen und demütigen ob ihres Bekenntnisses zum christlichen Glauben, auch noch einladen und bewirten? Einleuchtend ist das zunächst einmal nicht. Doch der Schreiber führt aus: „Denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ Die Bibelkundigen unter den Adressaten werden mit diesem Hinweis erinnert, wieviel Segen in gewährter Gastfreundschaft liegen kann. Im 1. Buch Mose wird von Sara und Abraham erzählt, die drei ihnen unbekannte Männer aufnehmen und bewirten. Gastfreundlich laden sie sie ein, unter dem Schatten des Baumes zu rasten, sie bringen ihnen Wasser, damit sie den Staub abwaschen können und bewirten die drei Fremden anschließend großzügig. Im Laufe des Gesprächs künden die drei Fremden dem so lange kinderlos gebliebenen Paar die Geburt des lang ersehnten Sohnes an. Die Gastfreundschaft, die Sara und Abraham den drei ihnen völlig fremden Menschen gewähren, lässt sie die Erfahrung von etwas Wunderbarem machen: Die Geburt ihres Kindes verwandelt Hoffnungslosigkeit in eine Perspektive, Mutlosigkeit in eine unerwartete Kraft – „...denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ Die drei Fremden, diese Botschafter Gottes, haben Segen über das Haus des alten Ehepaars gebracht. Engel sind Heilsbringer, Hoffnungsboten. Sie vermitteln eine Ahnung davon, dass nichts beim Alten bleiben muss. Davon erzählen die Geschichten der Bibel.

In der Rede vom Weltgericht bringt Jesus zum Ausdruck, dass auf der Aufnahme von Fremden ein besonderer Segen liegen kann: „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“ Und er fährt fort: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Matth. 25, 40)

Wir selber tun uns ja nicht immer leicht damit, den Fremden, den Unbekannten in unser Leben zu lassen. Unser Umgang mit den geflüchteten Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und um unsere Gastfreundschaft bitten, zeigt das recht deutlich. Oft regieren wir eher angstbesetzt und befürchten eine „Überfremdung“ unserer Gesellschaft und den Verlust von eigenem Wohlstand. Vielleicht sollten wir aber mal den Gedanken zulassen, dass uns in diesen Menschen, die aus großer Not und existentieller Bedrohung ihr Zuhause aufgeben mussten, Gott begegnen könnte. Dass Gott es ist, der um Aufnahme und um unsere Hilfe bittet. Wenn wir diesen Gedanken zulassen, dann wird auch eines klar: Gastfreundschaft gegenüber allen Menschen, die uns begegnen, ist Gottesdienst. Im Fremden, dem wir unter uns eine neue Heimat anbieten, kann uns Gott begegnen. „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“

In diesem Sinne wünsche ich uns allen segensreiche Begegnungen als Gast und als Gastgeber!

Ihre Pfarrerin Wiebke Heine

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