Andachten Archive - Seite 7 von 15 - Evangelische Kirchengemeinde Gütersloh

Ja, liebe Gemeinde, Maria ist uns Evangelischen immer noch ein bisschen fremd.

Ist Ihnen das auch so gegangen, als wir ihren Lobgesang im Wechsel gebetet haben und wir ihre Geschichte aus dem Lukasevangelium gehört haben ?

Maria – die gehört doch gefühlt eher in die katholische Kirche ? Oder ?

In der Tat: 

  • der Gedanke ihrer immer währenden Jungfrauenschaft
  • sie als Adresse von Gebeten: „Heilige Mutter Gottes erhöre uns … heilige Mutter Gottes bitte für uns.“
  • bis hin zu ihrer unbefleckten Empfängnis und ihrer Himmelfahrt

all das gehört in die katholische Tradition und ist uns trotz aller Ökumene immer noch ein bisschen fremd.

Aber Maria ist trotzdem fester Bestandteil der biblischen Botschaft. Wir haben es ja gerade gehört. Und es gibt noch viel mehr Texte im Neuen Testament, in denen sie vorkommt – bis hin zur weinenden Maria unter dem Kreuz Jesu.

Maria ist ja auch für uns die Mutter Jesu. Und damit nimmt sie unter den Frauen des Neuen Testaments eine herausragende Rolle ein.
Und deshalb dürfte sie eigentlich gerne mehr als einmal im Jahr im Mittelpunkt eines evangelischen Gottesdienstes stehen.
Heute möchte ich jedoch nicht über die Zumutung nachdenken, die die Botschaft des Engels Gabriel für sie bedeutete.

Auch soll es nicht um Josef gehen, der sie nach dem Matthäusevangelium heimlich verlassen wollte, als sie plötzlich schwanger war und er sich sicher war, dass er nicht der Vater sein konnte.

Es geht auch nicht um Marias Sorge, als der 12jährige Jesus in Jerusalem verloren gegangen war.

Und ich will auch nicht darüber nachdenken, wie weh es ihr getan haben muss, als ihr eigener Sohn sie mit den Worten verleugnete: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“

Nein, ich möchte heute darüber staunen, mit welchen Worten und Gesten und Bildern das Lukasevangelium versucht die größtmögliche Freude zum Ausdruck zu bringen.

Heute soll es deshalb um das hüpfende Kind im Leib der Elisabeth gehen, von dem wir gerade in der zweiten Lesung gehört haben – das Kind, das später einmal als Johannes der Täufer wichtig werden sollte.

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Wer als Frau selbst ein Kind bekommen hat, der weiß, wie sehr der Moment in Erinnerung bleibt, in dem sie das erste Mal Bewegungen ihres Kindes in sich gespürt hat.

Und dann dauerte es meist ja noch eine Weile, bis diese Bewegungen so stark wurden, dass sie auch der werdende Vater spüren konnte, wenn er seine Hand auf den Bauch seiner Frau legte.

Das sind bewegende Momente – Momente, die weder die Frau noch der Mann je vergessen.

Bei Elisabeth war es schon der 6. Monat ihrer Schwangerschaft, als Maria sie nach der Ankündigung des Engels besuchte. Bei Maria sollte es also noch ein bisschen dauern, bis auch sie die ersten Bewegungen ihres Kindes spüren würde.

Und dann geschah es: als sie in das Haus ihrer Verwandten Elisabeth kam, da hüpfte Johannes im Leib seiner Mutter.

Und er hüpfte vor Freude – gleichsam als würde das Kind im Mutterleib genau wissen, wer da zu Besuch gekommen ist.

Ich finde: Freude kann man durch kaum ein anderes Bild tiefer und anrührender und besser zum Ausdruck bringen.

Elisabeth versucht es anschließend mit Worten:

„Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wie geschieht mir, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt ?“

Doch diese Worte verblassen hinter dem vor Freude strampelnden Kind im Mutterleib.

Und so wundert es auch nicht, dass für Jesus Kinder immer eine besondere Rolle gespielt haben:

  • ob bei der Segnung der Kinder
  • oder wenn er vor seine Jünger ein Kind stellt und sagt: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“

Also: Kinder als Vorbild im Vertrauen.
Kinder, die von Hass und Neid und Macht und Verschlagenheit und Bosheit und von so vielem anderen noch nichts wissen.

Das alles lernen sie erst von uns Erwachsenen, nachdem sie das Licht der Welt erblickt haben.

Und wenn ich genauer darüber nachdenke, dann fällt mir nur ein Mensch ein, der diese hässliche Seite unseres Menschseins nicht mehr oder weniger gelernt und übernommen hat – und das war das Kind, das Maria erwartete, das Kind, das ein anderes Kind dazu gebracht hat, voller Freude im Mutterleib zu strampeln und so diesen Jesus zu begrüßen.

So verkündet jeder Fußtritt des Johannes die frohe Botschaft von der Ankunft Gottes in dieser Welt.

Und er lädt uns ein, auf diesen Jesus zu achten und uns an dem zu orientieren, was er als Erwachsener später einmal sagen und vorleben sollte.

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Seit nunmehr 3 Wochen versuchen auch wir uns in der Adventszeit auf das Kommen Jesu vorzubereiten.
Und in diesem Jahr ist alles anders, als sonst.

Aber ich finde genau darin liegt auch eine Chance.
Denn sonst ist die „Heilige Zeit“ immer auch eine überaus „Eilige Zeit“ gewesen – eine Zeit, in der das Eigentliche schon einmal in den Hintergrund geraten konnte.
In diesem Jahr ist es anders.
Keine Adventsfeiern, keine Weihnachtsmärkte, keine großen Verwandtentreffs, und alles ein wenig ruhiger – und mit Maske – und mit Abstand. So bekommen wir uns selbst verstärkt in den Blick.

Und wir können uns nicht so leicht aus dem Weg gehen.

Das kann belastend sein.

Aber es bietet auch die Chance die Adventszeit wieder mehr zu dem werden zu lassen, was sie ursprünglich einmal war: eine Zeit der Besinnung, eine Zeit der Vorbereitung und auch eine Fastenzeit.

Die violetten Antependien vor Altar und Kanzel weisen uns auf diesen in den letzten Jahrzehnten immer mehr verloren gegangenen Charakter dieser besonderen Zeit des Kirchenjahres hin.

Auf das Kleine zu schauen – auf die leisen Töne zu hören – und dabei auch sensibler aufeinander zu achten – bewusster über Gott und die Welt nachzudenken – sich selbst dabei auch kritisch zu hinterfragen – zu überlegen, was wirklich wichtig ist und was man als unnötigen Ballast getrost hinter sich lassen kann – und vieles mehr.

Das Hüpfen des Johannes im Mutterleib lädt uns genau dazu ein, indem es auf die Geburt Jesu hinweist.

Und spätestens in 4 Tagen haben wir endgültig vor Augen, dass Gott wirklich den Weg des Kleinen, den untersten Weg nimmt, um uns neu zu erreichen.

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Ja, ein hüpfendes Kind im Mutterleib kann so viel erzählen.

Deshalb möchte ich die verbleibenden Tage bis Weihnachten dazu nutzen, ein wenig zu werden, wie Johannes.

Ich möchte sein Vertrauen auf das, was kommen wird – die Geburt Jesu – mit ihm teilen.

Ich möchte mich von seiner Vorfreude anstecken lassen – und selbst durch mein „Strampeln und Hüpfen“ auch andere einladen ebenfalls ihren Blick auf das Weihnachtsgeschehen zu richten – und sich ebenfalls in der Stille darauf vorzubereiten.

Ich möchte mich durch den Blick auf das Kind im Stall und den Mann von Golgatha von der hässlichen Seite unseres Menschseins abwenden und auf die menschliche Seite schauen, die Jesus später vorgelebt hat, und die Maria in ihrem Lobgesang mit den Worten beschrieben hat:

„Seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihm vertrauen.

Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“

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Das eine Kind schien das alles schon gewusst zu haben und hüpfte deshalb im Mutterleib.

Und das andere Kind sollte später all das sein und tun, was Maria in ihrem Lobgesang besingt.

Und sie, Maria, sollte dieses Kind auf die Welt bringen.

Und über sie heißt es in der Weihnachtsgeschichte des Lukas ein Kapitel später:

„Sie behielt alle diese Ereignisse und Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“

Wie oft wird sie in den folgenden Jahren darüber nachgedacht haben ?

Und als Mutter wird sie Jesu Reden und Tun begleitet haben – mit dem Stolz einer Mutter – aber auch mit den Sorgen einer Mutter.

Ja, auch wir Evangelen sollten ruhig mehr als einmal im Jahr über diese besondere Frau nachdenken.

Amen.

Ja, die Adventszeit ist anders in diesem Jahr. Die Beschränkungen fallen oft schwer, Menschen sorgen sich um ihre Gesundheit, ihre Familie oder ihre berufliche Existenz. Und die Infektionszahlen steigen weiter.
Trotz alldem hat diese Zeit auch Positives: Die Zahl der Verkehrstoten ist ebenso zurückgegangen wie die Luftverschmutzung. Menschen haben mehr Zeit für sich selbst und ihre Lieben. In unserer Kirchengemeinde gibt es kreative Wege, Kontakt zu halten oder aufzunehmen. Das ist Neues im Werden.
Und das, was möglich ist, weiß ich mehr zu schätzen. So kann ich etwa durch das –bedauerliche – Verbot des Gemeindegesangs umso mehr die fein dosierte Musik bei adventlichen Momenten und Gottesdiensten in der Kirche oder beim lebendigen Adventskranz genießen.

Je dunkler die Nacht, desto heller strahlt ein Licht. Die biblischen Worte, die wir in diesen Wochen gesagt bekommen und weitersagen dürfen, erscheinen mir jetzt noch tröstlicher als früher: „Tochter Zion, freue dich sehr! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ „Bereitet dem Herrn den Weg, denn der Herr kommt gewaltig.“ „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“ Da wird mir warm ums Herz und Vorfreude auf das Weihnachtsfest stellt sich ein.

Doch mitten in dieses kuschelige Gefühl grätscht einer hinein, der so gar keine tröstlichen Worte hat: Johannes der Täufer. Auch er gehört zum festen Repertoire der Adventszeit. Schließlich gilt er als der „Prediger in der Wüste“, der den Weg Jesu vorbereitet.
Johannes macht keine Kompromisse: Er schleudert den Leuten schonungslos ins Gesicht, wie verlogen sie sind und dass sie sich schleunigst ändern müssen. Das beeindruckt viele seiner ZuhörerInnen so sehr, dass sie Johannes für den Messias, den ersehnten Retter, halten. Nichts da, sagt er und tauft Jesus. Erst danach fängt Jesus an, selbst zu predigen.

Dieser Johannes war mir noch nie geheuer. Das war schon so bei unserer ersten Begegnung, damals im Kindergottesdienst. Wir Kinder bekamen immer ein Bild aus der die Bibelgeschichte, um die es gerade ging. Das Bild von Johannes machte mir Angst: Es zeigte einen düster dreinblickenden Mann mit struppigen Haaren und wildem Bart. Johannes sah gefährlich aus und ein wenig irre, und vor allem sehr wütend.

Viel später erst habe begriffen, warum. Johannes war wütend, weil die Welt nicht so ist, wie Gott sie sich gedacht hat. Das ist ein guter Grund, wütend zu sein. Ist es heute noch.

Trotzdem konnte ich mich nie mit Johannes anfreunden. Auch jetzt stört er mich. Im Advent will ich ihn eigentlich nicht haben. Da mag ich‘s schön und gemütlich. Aber bei Johannes liegt statt Kerzendufts ein Hauch von Fegefeuer in der Luft.

Nein, davon will ich heute lieber nichts hören. Eher von Hirten, von Sternen und Engeln und froher Erwartung. Johannes stört da nur. Aber hier ist er, mitten im Advent. Warum, ist mir schon klar. Als Zeit der Vorbereitung ist der Advent eigentlich eine Zeit der Buße. Zeit, sich zu hinterfragen. Nachzudenken, was in meinem Leben nicht so läuft wie es soll.

 Es soll Leute geben, die im Advent tatsächlich verzichten und erst an Heiligabend Christstollen und Weihnachtsplätzchen essen. Machen Sie das? Nein? Ich auch nicht. Ich sag’s ja, Johannes ist ein klasse Bußprediger, aber er und Advent, das passt scheinbar so gut wie ein Glühweinstand in die Sahara.

Später in der Bibel ist wieder von Johannes die Rede. Da sitzt er im Gefängnis. Da aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. (Matthäus 11, 2-6)

Jetzt sitzt er also im Knast, der Johannes. War ja klar. Hab ich schon auf dem Bild im Kindergottesdienst gesehen. Einer, der so streng und so wütend ist, der weiß nicht, wann man besser den Mund hält. Oder es ist ihm egal. Johannes hat vor keinem gekuscht. Bewundernswert eigentlich. Aber das konnte nicht gut gehen.

Johannes sagt, was Sache ist, und das spricht sich herum. Bis in die höchsten Kreise. König Herodes lässt sich das nicht bieten. Vielleicht plant dieser seltsame Wüstenheilige ja einen Aufstand. Herodes hat schon genug Ärger am Hals, noch mehr kann er sich nicht leisten. Also wegsperren, den Kerl, sicher ist sicher.
Johannes, ein politischer Gefangener. Ziemlich aktuell, nicht wahr? Wie viele werden auch heute weggesperrt oder verschwinden einfach, weil sie unbequeme Wahrheiten aussprechen.

Wenn ich mir Johannes im Gefängnis vorstelle, sehe ich nicht mehr den wütenden Propheten. „Bist du, der da kommen soll“, lässt er Jesus fragen. „Oder sollen wir auf einen andern warten?“ Da klingt Sehnsucht aus seinen Worten, Zweifel, auch Angst. Johannes weiß vermutlich: Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit zu warten.

Warten kann sehr verschieden sein. Gerade im Advent. Da ist ungeduldiges Warten der Kinder, für die es noch eeeeewig ist bis Weihnachten. Noch elfmal schlafen, so lange noch!
Da ist gestresstes Warten vieler Erwachsener: Ups, keine zwei Wochen mehr bis Heiligabend, und ich muss noch Geschenke besorgen, Plätzchen backen, Weihnachtskarten schreiben und wo ist nochmal der Christbaumschmuck?
Angespanntes Warten: Gibt es wieder Streit, mit den Schwiegereltern, dem Exmann, der Freundin, den Geschwistern? Wir sollten uns doch nicht mit so vielen treffen wegen Corona. Aber wem absagen? Sorgenvolles Warten: Was ist, wenn ich mich anstecke und ins Krankenhaus muss?
Aber es gibt zum Glück auch leichtes, freudiges Warten.
Warten hat viele Facetten. Wie warten Sie?

Johannes hat von Anfang gewusst, wer dieser Jesus ist: Endlich, das ist er, auf den ich so lange gewartet habe. Jetzt aber, im Gefängnis, zweifelt er: Bist du der Kommende? Oder sollen wir auf einen anderen warten? Johannes ist unsicher geworden in seinem Warten.

Es ist ja nicht nur Johannes, der wartet, schon so lange. Andere haben vor ihm gewartet: Jesaja, der Licht herbeisehnt über dunkles Land. Micha, der träumt, wie Schwerter zu Pflugscharen werden. Hanna, dass Jerusalem Frieden findet. Maria, dass Gott die Mächtigen vom Thron stößt und die Niedrigen erhöht. Und wir warten noch immer. So lange schon. Da kommen Zweifel. Ist er es? Ist er es wirklich?

Bist du es?
Jesus antwortet Johannes. Und er vertröstet ihn nicht auf etwas, das irgendwann kommt. Er lenkt Johannes‘ Blick auf das Jetzt. Schau, was jetzt passiert. Blinde sehen. Lahme gehen. Tote stehen auf. Armen wird die Gute Nachricht gesagt.

Das Warten war nicht, ist nicht vergeblich. Gestrauchelte stehen wieder auf. Traurige können wieder lachen. Enttäuschte verlieben sich neu. Weil er da ist.  Und weil er auch jetzt kommt, in mein Warten und in deines, in die Zweifel und in die Sehnsucht, dass die Welt nicht so bleiben muss, wie sie ist. Dass das Leben nicht so bleiben muss, wie es ist. Dass ich nicht so bleiben muss, wie ich bin.

Dritter Advent. Die Krippe steht schon bereit. Noch ist sie leer. Bald wird sie vorne in der Kirche stehen, auf dem Bauernhof oder im Stadion. Und sicher in vielen Wohnzimmern. An der Krippe ist Platz für alle, die warten: für die Wütenden, die Sehnsüchtigen, die Traurigen und die Fröhlichen. Platz ist hier für Zweifel und Fragen. Platz ist hier für dich und mich. Weil er kommt. Er ist schon ganz nah. Ja. Er ist es wirklich. 

Amen.

Andacht zum 2.Advent

Ein fast leerer Raum. Ein Kind sitzt an einem Tisch. Da öffnet sich eine Tür. Hinein kommt eine Frau und hält etwas in der Hand, das die Augen des eben noch gelangweilten Kindes aufleuchten lässt. Die Frau überreicht dem Kind etwas Besonderes.

Ein Überraschungs-Ei.

„Wenn du das hier nicht öffnest“, sagt sie dem Kind, „sondern noch ein bisschen wartest, bekommst du später von mir noch ein zweites.“ Natürlich fällt das dem Kind schwer. So ein tolles Geschenk - und jetzt soll man warten? Das Kind ringt mit sich aber öffnet dann das Ei - wie übrigens alle anderen Kinder auch in diesem Werbespot.

Die Botschaft: ein Überraschungs-Ei ist so toll, dass niemand es schafft, zu warten. Warten, Geduldig sein, das fällt schwer.

Dabei ist die Fähigkeit zu warten eine Erfolgseigenschaft. das ist sogar wissenschaftlich erwiesen. Vor mehr als 40 Jahren wurde ein Experiment durchgeführt, das dem Ü-Ei-Werbespot sehr ähnelt:

Da machte ein Psychologe amerikanischen Vorschulkindern ein verlockendes Angebot: Er gab jedem Kind ein Marshmallow. Nun hatten die Kinder die Wahl: entweder gleich essen oder warten, bis der Versuchsleiter zurück kommen würde. Dann sollten sie zur Belohnung ein zweites Marshmallow erhalten. Einige Kinder konnten der Versuchung nicht widerstehen und langten gleich zu, andere beherrschten sich und bekamen den doppelten Lohn.

Etwa 14 Jahre später testete der Psychologe dieselben Kinder noch einmal. Das Erstaunliche: Diejenigen, die schon als Kinder warten konnten, waren zu selbstbewussten jungen erwachsenen gereift. Sie waren in der Lage, sich für ihre Ziele einzusetzen und konnten auch mit Enttäuschungen im leben gut umgehen.

Den anderen, den „Sofortessern“, gelang das weniger gut. Geduldig warten zu können ist also eine Erfolgseigenschaft.

Warten - das ist das Hauptthema, der rote Faden der Adventszeit.

Wir warten darauf, dass Gott kommt, in seinem Sohn Jesus Christus, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern.

Sind wir bereit? Sind wir geduldig und warten?

Warten fällt schwer, und deshalb wird uns das Warten versüßt: den Kindern mit Süßigkeiten im Adventskalender.

Als eine kleine Zwischenstation kommt am 6.Dezember der Nikolaus mit seinen Geschenken, damit man schon mal einen kleinen Vorgeschmack bekommt.

Wie wichtig Geduld ist, wussten Christen schon immer!

Seit Jahrhunderten wartet die Christenheit auf das Wiederkommen von Jesus Christus und auf Gottes spürbare Nähe. Einer, Jakobus genannt, glaubte unverbrüchlich daran, dass Jesus zurück kommen würde. und wenn er kommt, wird die Erde allen gehören und Gerechtigkeit für alle gelten. Jakobus war sich sicher: es lohnt sich zu warten.

 

So seid nun geduldig bis zum Kommen des Herrn. Stärkt einander die Herzen. Lasst nicht zu, dass die Schwester neben euch die Hoffnung verliert oder der Bruder an eurer Seite seine Seele verkauft für den schnellen Erfolg.
Stärkt einander die Herzen und vertraut darauf: Das Kommen des Herrn ist nahe.

„Habt Geduld“, sagt Jakobus, „das Kommen des Herrn ist nahe!“

Viel wissen wir nicht über die Menschen, die den Brief des Jakobus als Erste gelesen haben. Vermutlich waren es Flüchtlinge aus dem zerstörten Jerusalem. Arm waren sie, wurden oft ungerecht behandelt und ausgenutzt. Dass sich schon seit Langem nichts geändert hat an ihrer schweren Lage, das können wir aus dem Zusammenhang des Briefes herauslesen.

In einer solchen Situation ist es schwer, die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht zu verlieren. Da ist es besonders wichtig, nicht aufzugeben und Geduld zu haben. weiter zu machen und gegen den Augenschein weiter zu hoffen.

Es geht aber nicht darum, nur abzuwarten und die Dinge geschehen zu lassen.

Jakobus beschreibt, dass man die Zeit des Wartens nutzen kann, um Gutes und Sinnvolles zu tun. Viel Zeit ist vergangen, seit Jakobus seine Gedanken zur Geduld geschrieben hat. Die Vorstellung, dass Jesus bald zurückkehrt und das Ende der Welt nahe ist steht nicht mehr im Zentrum des Glaubens.

Zwar gibt es immer wieder Menschen, die den nahen Weltuntergang ausmachen. Das war zuletzt 2012 soweit. Neuerdings heißt es: 2032 dann!

Aber wer glaubt das schon?

Ich nicht.

Jedenfalls nicht so.

Und doch warte ich, jeden Tag aufs Neue, in gewisser Weise, dass Gott kommt.

Mit seiner Liebe und mit seinem Segen.

 

An manchen Tagen spüre ich, dass er mir nahe ist, an anderen nicht. Da heißt es dann geduldig sein und warten.

Leicht fällt mir das nicht.

da bin ich dann eher so wie die Kinder mit dem Ü-Ei: ich will alles, und zwar sofort. Genießen, jetzt. Worauf noch warten?

„Auf Gott und seine Gerechtigkeit“, flüstert dann eine Stimme in mir: „Gib die Sehnsucht nach Gott nicht auf, lass nicht nach in der Hoffnung, dass die Welt besser und gerechter wird. Du darfst das Leben genießen - aber verliere nicht das große Ganze aus den Augen.“

Kommen wir noch einmal auf das zurück, was Jakobus uns nahe legt: nutzt die Zeit des Wartens, indem ihr Gutes tut.

Lebt als Kinder des Lichts. Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit - heißt es im Epheserbrief.

Ein Leben im Licht, das ist auch das : etwas von dem Licht, das wir empfangen dürfen, weiterzugeben, an andere.

Gottsucherinnen und Gottsucher sollen wir sein.

 

Gott will sich von uns finden lassen. Da bedient er sich manchmal ungewöhnlicher Mittel. Wie z.B. dem Kind in der Krippe. Manchmal müssen wir neue Wege gehen und andere Orte als die uns vertrauten aufsuchen, um Gott zu finden.

Bei unserer Suche müssen wir geduldig sein, auch mit uns selbst. Und warten können.

 

Lebt als Kinder des Lichts - das heißt.: wenn ihr Gott finden wollt, dann seht in jedem Menschen euren Bruder oder eure Schwester. Wenn ihr Liebe lebt, dann erfahrt ihr etwas von Gottes Wirklichkeit, dann kommt Gott zu euch.

Die Frucht ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

So hat sich das Warten gelohnt!

Geduld ist eine Erfolgseigenschaft.

Im Advent üben wir sie.

Lassen wir uns auffordern von den Worten des Jakobus:
So seid nun geduldig bis zum Kommen des Herrn.

Stärkt einander die Herzen. Lasst nicht zu, dass die Schwester neben euch die Hoffnung verliert oder der Bruder an eurer Seite seine Seele verkauft für den schnellen Erfolg.

Stärkt einander die Herzen und vertraut darauf:

Das Kommen des Herrn ist nahe.

 

Amen

Liebe Leserinnen und Leser!

Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!

Sieh, dein König kommt zu dir, ja er kommt, der Friedefürst.

Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!

Mit diesen Worten beginnt eines meiner liebsten Adventslieder. Ein Lied, das mich mitreißt, wenn ich es höre. Ob ganz zart gespieltoder mit Pauken und Trompeten zum Klingen gebracht – bereits nach wenigen Tönen spüre ich etwas von der geheimnisvollen Vorfreude, die für mich mit Georg Friedrich Händels festlich-getragener Melodie verbunden ist. Vorfreude auf den Lichterglanz der weihnachtlich geschmückten Straßen und Häuser. Vorfreude auf den hellen Klang vertrauter Advents- und Weihnachtslieder. Vorfreude auf die heimelige Wärme der dicken roten Kerzen am grünen Adventskranz und den Duft der frisch gebackenen Plätzchen. Ein Gefühl, das ich mir trotz der momentanen Einschränkungen nicht nehmen lassen möchte. Das habe ich mir vorgenommen, auch wenn dieser Advent vermutlich ein wenig anders wird als sonst.

Denn so wie wir üblicherweise Advent und Weihnachten feiern, wird es wohl in diesem Jahr nicht sein. Keine volle Kirche beim Krippenspiel, kein Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, keine traditionelle Adventsfeier mit dem Verein oder im Betrieb. Doch zugleich sehe ich, wie viele Menschen sich kreative Gedanken machen, wie sie um Ideen ringen und trotz allem etwas ermöglichen wollen. Adventssingen, Nachtsanggeläut und Turmblasen. Ein lebendiger Adventskranz und ein digitaler Adventskalender. Gottesdienste an vielen ungewöhnlichen Orten. Viele davon draußen unter freiem Himmel. Ja, die Adventszeit wird anders werden, ungewöhnlich womöglich, vielleicht aber auch außergewöhnlich schön. Vorfreude darauf habe ich auf jeden Fall.

Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!

Nicht nur unser Adventslied, sondern auch der Predigttext für den heutigen Sonntag, beginnt mit diesen Worten. Er findet sich im Buch des Propheten Sacharja im 9. Kapitel:

Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem, jauchze!

Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden.

Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.(Sacharja 9, 9+10)

Freude! Jauchzen! Frieden! Wie helle Glockenschläge klingen die Worte des Propheten Sacharja in meinen Ohren. Sie stammen aus einer Zeit lange bevor Jesus geboren wurde. Den Leuten ging es alles andere als gut. Das Land war seit Jahrhunderten Kriegsschauplatz und dementsprechend sah es auch aus in Jerusalem, der Stadt auf dem Zionsberg. Der Tempel als Ort der Gegenwart Gottes lag in Trümmern. Hunger und Elend waren überall sichtbar auf den Straßen. Alles andere als rosige Zeiten. Und mittendrin steht der Prophet Sacharja und ruft zur Freude und zum Jauchzen. Und er ist sich sicher,dass bessere Zeiten kommen werden. Er kann es regelrecht vor sich sehen, das Leben in Frieden und Gerechtigkeit. Gott wird einen König schicken, der dafür sorgt. Ein Gerechter und ein Helfer wird er sein. Das Warten auf ihn lohnt sich. Irgendwann wird sie sich erfüllen, die Zukunftsvision des Propheten, die Sehnsucht nach einem Leben in Frieden.

Freude! Jauchzen! Frieden! Das jubeln auch sie, die Menschen, die hunderte Jahre später am Wegesrand stehen. In einer anderen Zeit, aber am selben Ort. Palmenzweige liegen verstreut auf dem Weg. Jesus zieht in Jerusalem ein. So wie es der große Prophet Sacharja verheißen hatte. Auf dem Rücken eines Esels. Wir lesen davon im Evangelium des heutigen Sonntags:

Als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr;bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.

Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“

Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa. (Matthäus 21, 1-11)

Freude! Jauchzen! Frieden! Jesus zieht in Jerusalem ein. Erwartungen, Hoffnungen und Sehnsüchte keimen auf. Ist er der Friedenskönig, der uns versprochen ist? Kann er Israel erlösen und von der Fremdherrschaft befreien? Wird er dasReich des Friedens und der Gerechtigkeit errichten? Wenn man genauer hinschaut, dann fällt die Antwort auf alle diese Fragennicht so einfach aus. Denn ehrlich gesagt geschieht zunächst erst einmal nicht so viel. Die Begeisterung der Menschen kippt deshalb auch bald um in bittere Enttäuschung. Der Triumphzugnach Jerusalem, der die Erlösungshoffnung vieler auf sich zog, wird einige Tage später zu einem ganz bitteren Weg werden. Ein Weg, der ins Leiden und Sterben führt und sein vorläufiges Ende am Kreuz Jesu Christi findet.

Auch heute mehr als zweitauend Jahre später hat sich die Hoffnungsbotschaft des Propheten Sacharja noch nicht vollständig erfüllt. Die Welt ist immer noch unterwegs, um eine bessere zu werden. Gerade in diesem Jahr merken wir das, sind doch unsere Erwartungen, Hoffnungen und Sehnsüchte nochmal um einiges größer geworden als sonst: Das Ende der Pandemie. Ein Impfstoff, der wirkt. Endlich wieder unbekümmertes Händeschütteln bei der Begrüßung oder sogar eine enge Umarmung. Große Feste, dichtes Gedränge in den Fußgängerzonen und Konzertsälen. Advents- und Weihnachtslieder, die nach monatelangem Schweigen wieder von unzähligen Stimmen zum Klingen gebracht werden.

Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!

Auch heute noch ist der Hintergrund, vor dem dieses Jubellied klingt, ein ähnlicher wie damals bei Sacharja. Keine Freude, weil es endlich da ist, dass allumfassende Friedensreich. Kein Jauchzen darüber, dass Gerechtigkeit und Hilfe einem jeden Menschen das Leben leicht machen. Ein Lied, das heute und damals über etwas jubelt, das noch gar nicht passiert ist. Oder das ganz anders passiert, als die Menschen damals und wir heute das erwarten.

Sieh, dein König kommt zu dir.

Ja er kommt, aber vielleicht ganz anders, als wir es uns vorstellen. Nicht als Kriegskönig, sondern als Friedenskönig. Nicht als Held, der machtvoll von außen oder von oben in das Weltgeschehen eingreift, sondern als Kind, das in einem Stall geboren wird. Als einfacher Mann, der auf einem Esel reitet. Und schließlich als einer, der wie ein Verbrecher am Kreuz endet – aber nicht aus Ohnmacht, sondern aus Liebe.

Dort am Kreuz entdecken wir vielleicht das wahre Geheimnis unseres Friedenskönigs. Dort am Kreuz bekommen wir vielleicht eine Ahnung davon, wie er auf uns zukommt, wie er da ist und mit uns geht, wie er bei uns ist im Leben und im Sterben. Ganz klein fängt er an. Er kommt zuerst einmal zu jedem einzelnen, zu jeder einzelnen von uns. Er schafft sich Raum in unserem Herz. Einige unserer Adventslieder wissen davon und bitten darum: „Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist.“

Sieh, dein König kommt zu dir.

Der Friedenskönig, den Sacharja uns verheißt und den wir im Advent besingen, der schafft sich und seinem Friedenzuallererst Raum in unserem Herz. Und durch uns einzelne Menschen hindurch wirkt er dann auch in die Welt hinein. Das möchte ich in dieser ungewöhnlichen Adventszeit entdecken. Daran will ich mitwirken. Und vielleicht wird sie dann jawirklich außergewöhnlich schön, die Advents- und Weihnachtszeit 2020. Vorfreude darauf habe ich auf jeden Fall! Amen.

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