Andachten Archive - Seite 14 von 15 - Evangelische Kirchengemeinde Gütersloh

Liebe Mitmenschen,

Heute ist Gründonnerstag. Heute war Jesus ein letztes Mal mit seinen Freunden zusammen, sie aßen. Beim Essen lässt sich besonders gut reden. Aber an diesem Abend wollten gar keine Gespräche aufkommen. Alle hatten Angst vor dem, was kommen würde: der Abschied von Jesus. Er sah, wie müde und traurig seine Freunde waren. Jesus ahnte, dass, wenn er auf eine neue, eine andere Weise als bisher bei ihnen bleiben würde, es für sie einfacher wäre, wenn er nicht mehr bei ihnen sein würde. Darum nahm er das Brot und den Kelch, stiftete die Gemeinschaft und sagte: „Tut es immer wieder: euch erinnern an mich und Brot mit Kelch teilen!“ Seine Freunde konnten es noch nicht so recht verstehen, was das bedeuten sollte. Doch eines haben sie genau gespürt: Jesus hat ihnen in ganz besonderer Weise seine Liebe geschenkt. Er wird immer bei ihnen sein, gleich wie‘s kommen mag. Die zugesagte Gemeinschaft mit Gott wird sie stärken, wenn Jesus sie allein zurück lässt. Das gibt Trost.

Gern hätten wir diese Gemeinschaft heute Abend in unseren Kirchen und Gemeinde­häu­sern gefeiert. Aber wir müssen Abstand halten.

In diesem Jahr fällt der Gründonnerstag auf den 9. April. Heute vor 75 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg erhängt, – kurz vor Ende des Krieges.

1906 war er mit seiner Zwillingsschwester in eine gutbürgerliche, akademische, nicht unbedingt religiös geprägte Welt geboren worden.

Schon früh entdeckte Dietrich Neugier für alles, was den nüchternen Verstand überschreitet. Später studierte er Theologie. Schon Anfang der 30er Jahre wurde Dietrich Bonhoeffer Studentenpfarrer und Privatdozent an der Berliner Universität. Er entdeckte eine große Bedeutung in der Bergpredigt Jesu, beginnend mit den Seligpreisungen:

3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

(Matthäus 5, 3 – 10)

In seinem Buch „Nachfolge“ schreibt Bonhoeffer: „Die Jesus nachfolgen, werden hungrig und durstig auf dem Weg. Nach Vergebung aller Sünden und völliger Erneuerung tragen sie Verlangen nach dem Neuwerden der Erde und vollkommener Gerechtigkeit Gottes. Noch deckt der Fluch der Welt diese zu, noch fällt die Sünde der Welt auf sie. Der, dem sie nachfolgen, muss als Verfluchter am Kreuz sterben. Ein verzweifeltes Verlangen nach der Gerechtigkeit ist sein letzter Schrei: mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Der Jünger aber ist nicht über seinen Meister. Ihm folgen sie nach. Selig sind sie darin, denn ihnen ist verheißen, dass sie satt werden sollen. Gerechtigkeit sollen sie empfangen, nicht nur durchs Ohr, sondern leibliche Sättigung mit Gerechtigkeit soll ihnen widerfahren. Das Brot des wahrhaftigen Lebens sollen sie essen im zukünftigen Abendmahl mit dem Herrn. Um dieses zukünftigen Brotes willen sind sie selig; denn sie haben dieses Brot ja schon gegenwärtig. Der das Brot des Lebens ist, ist in all ihrem Hunger unter ihnen.“
(S. 60)

Friede wurde zum zentralen Thema für Bonhoeffer. Er ließ nicht gelten, dass die Gebote der Bergpredigt nur einen bestimmten Bereich des Lebens betreffen. Schon 1934 forderte er ein großes oekumenisches Konzil der weltweiten Heiligen Kirche Christi, damit sie den Menschen die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet.

Für kurze Zeit – in Folge eines Lehrverbotes – geht Dietrich Bonhoeffer nach London als deutscher Pfarrer, wurde dann Leiter des Predigerseminars in Finkenwalde. Dort entstand das Buch „Nachfolge“. Nachfolge – so schreibt er – sei die Lösung aller bisherigen Bin­dungen, sei stattdessen die Bindung an die Person Jesu Christi. Letztlich sei Nachfolge Leidenmüssen, das Leiden Gottes an der Welt zu teilen. Dieser ist nicht allmächtig, sondern offenbart sich in der Schwachheit, im Leiden, – bis zum Tod am Kreuz: Nur der leidende Gott kann helfen. Wie gut, dass wir in dieser Woche die Gelegenheit haben, uns dessen wieder bewusst zu werden! Auch wenn wir die Gemeinschaft unter einander heute beim Feierabendmahl nicht haben können, dürfen wir sicher sein, dass wir aus der Gemeinschaft mit (dem leidenden) Gott nicht fallen.

Nach der Schließung des Finkenwalder Predigerseminars und Reisen zu oekumenischen Partnern ging Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand, – als Konsequenz seines theologischen Denkens. Er arbeitete inzwischen an seiner „Ethik“, einem Buch, das nicht mehr fertig geworden ist und das sein Freund Eberhard Bethge nach dem Krieg heraus­gegeben hat. Immer bedeutender wird Bonhoeffer die Frage, wie eine kommende Generation weiterleben kann. Als Aufgabe für die Menschen in der Nachfolge nennt er das Beten und (dann) das Gerechte zu tun.

Am 5. April 1943 wurde Bonhoeffer festgenommen. Zum Jahresende auf 1945 schreibt er die uns so wertvollen Zeilen „Von guten Mächten“. In seiner langen Haftzeit war er dank seines Gottvertrauens für manchen Häftling eine Beruhigung. Als Dietrich Bonhoeffer am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg erhängt wurde, sollen seine letzten Worte gewesen sein: „Dieses ist nicht das Ende, sondern der Anfang meines Lebens.“

Ich möchte gern noch auf dieser Erde für mehr Gerechtigkeit eintreten und hoffe, dass das Corona-Virus das einmal wieder mehr zulässt als im Augenblick möglich, aber ich freue mich auch auf das Mahl in Gottes ewiger Welt. Diese Freude möge uns durch diese Zeit tragen, denn

„Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

 

Bleiben Sie behütet!

Ihre Pfarrerin Erika Engelbrecht

Predigt über Mk 14,3-9 am 5. April 2020

Palmsonnntag – Jesus wird gesalbt

Die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

 

Liebe Gemeinde, heute ist Palmsonntag, der Tag, an dem wir uns an den Einzug Jesu nach Jerusalem erinnern. Es beginnt die Karwoche, die letzte Woche der Passionszeit, an deren Ende dann die Erinnerung an die Kreuzigung stehen wird. Mitten in den Ereignissen, die dem Tod Jesu vorangehen, wird im Markusevangelium eine kleine Begebenheit geschildert, ein kostbarer Moment, dem Jesus eine große Bedeutung zumaß: die Salbung Jesu durch eine namenlose Frau!

 

3 Jesus war in Betanien. Er war zu Gast bei Simon, dem Aussätzigen. Als er sich zum Essen niedergelassen hatte, kam eine Frau herein. Sie hatte ein Fläschchen mit Salböl dabei. Es war reines kostbares Nardenöl. Sie brach das Fläschchen auf und träufelte Jesus das Salböl auf den Kopf.

4 Einige ärgerten sich darüber und sagten zueinander: »Wozu verschwendet sie das Salböl? 5 Das Salböl war mehr als dreihundert Silberstücke wert. Man hätte es verkaufen können und das Geld den Armen geben.« Sie überschütteten die Frau mit Vorwürfen.

6 Aber Jesus sagte: »Lasst sie doch! Warum macht ihr der Frau das Leben schwer? Sie hat etwas Gutes an mir getan. 7 Es wird immer Arme bei euch geben, und ihr könnt ihnen helfen,

sooft ihr wollt. Aber mich habt ihr nicht für immer bei euch. 8 Die Frau hat getan, was sie konnte: Sie hat meinen Körper im Voraus für mein Begräbnis gesalbt. 9 Amen, das sage ich euch: Überall in der Welt, wo die Gute Nachricht weitergesagt wird, wird auch erzählt werden, was sie getan hat. So wird man sich immer an sie erinnern.«*

 

Ich sehe die Tischrunde vor mir: Jesus und sein Gastgeber, dessen Familie, Freunde, Jünger, gewiss auch Jüngerinnen. Ich stelle mir vor, dass gut gegessen und getrunken wird, dass alle sich angeregt unterhalten. Für einen Moment soll mal alles Bedrückende vergessen sein. Einfach nur unbeschwert zusammensitzen.

Aber wie das oft so ist, wenn alles besonders harmonisch sein soll, dann gibt es plötzlich eine Störung. Eine Frau bricht in die Gesellschaft ein, geht auf Jesus zu und salbt ihn mit kostbarem Nardenöl. Eine Frau dringt unangemeldet in den Raum ein und setzt sich über alle Konventionen hinweg. Gleich einer Prophetin im Alten Testament salbt sie Jesus wie einen König oder einen Propheten. Was nimmt sie sich nur heraus?

 

Ilona Schmitz-Jeromin nennt diesen Moment in einem Liedtext „kostbar“.

Kostbar war der Moment, als sie den Raum betrat,
das Salböl in den Händen, um Liebe zu verschwenden.

Kostbar war der Moment. Gepriesen, was sie tat.

Nun ist es vorbei mit der Harmonie. Die Bedenkenträger melden sich zu Wort. „Was soll an diesem Moment kostbar sein? Kostbar ist allein das Nardenöl.“

"Verschwendung" rufen die Ökonomen und rechnen vor: dreihundert Denare, das entspricht dem anderthalbfachen Jahreslohn eines Landarbeiters oder Tagelöhners.

"Frevel"  rufen die Jesusnachfolger: Wie vielen Armen hätte man helfen können, wenn man das Öl verkauft hätte. Das Passahfest steht vor der Tür, an dem sind die Gläubigen

besonders zum Almosengeben verpflichtet. Und hat nicht Jesus selbst gepredigt: „Geh, verkaufe, was du hast; gib’s den Armen.“?

Kostbar war der Moment, als sie mit leichtem Gang
die Mauer der Bedenken durchschritt, um Trost zu schenken.

Kostbar war der Moment, für sie ein Lobgesang.

Jesus wird deutlich: »Lasst sie doch! Warum macht ihr der Frau das Leben schwer? Sie hat etwas Gutes an mir getan. Es wird immer Arme bei euch geben, und ihr könnt ihnen helfen, sooft ihr wollt. Aber mich habt ihr nicht für immer bei euch. Die Frau hat getan, was sie konnte: Sie hat meinen Körper im Voraus für mein Begräbnis gesalbt.“

Ein kostbarer Moment für Jesus selbst. Er bestätigt die Salbung als Vorbereitung auf seinen Tod. Angesichts der auf ihn zukommenden Brutalität gibt sie ihm ein Zeichen der liebevollen Zärtlichkeit. Fast so, als wollte sie ihn mit der zärtlichen Berührung stärken für den schweren Weg. Die unbekannte Frau hat ein gutes Werk an Jesus getan. Sie hat ihn verstanden, anders als seine bekannten Jünger, die den Tod verdrängen wollten. Sie hat verstanden, was jetzt, in diesem Moment, dran ist, ohne die Kosten zu berechnen. Jetzt geht es nicht darum, Armen zu unterstützen .Jetzt geht es darum, in einer Zeit der Angst Nähe und Berührung erfahren zu lassen. Das verleiht ihr in den Augen Jesu eine besondere Bedeutung: „Überall in der Welt, wo das Evangelium weitergesagt wird, wird auch erzählt werden, was sie getan hat. So wird man sich immer an sie erinnern.“

 Kostbar war der Moment, als sie das Siegel brach
und Duft das Haus erfüllte, sie zärtlich Ängste stillte.

Kostbar war der Moment, Erinnerung wirkt nach.

Hat sie denn wirklich etwas Besonderes getan? Was könnten wir heute nicht mit einem großen Geldbetrag alles Gutes tun?

Bei unseren Partnern in Tansania etwa oder in griechischen Flüchtlingslagern.

Wie vielen durch die Korona-Krise ins finanzielle Aus geratenen Menschen könnte damit über die schlimmste Not hinweggeholfen werden?

Wie viel Schutzkleidung für medizinisches Personal könnte damit angeschafft werden?

Ich kann die Beschwerdeträger verstehen. Doch damit werde ich der Kostbarkeit des Moments nicht gerecht. Die Frau liebt und verehrt Jesus so sehr, das sie das Kostbarste, was sie hat, vielleicht ihr ganzes Vermögen, für ihn hergibt. Verschwenderisch gibt sie das her, weil es in diesem Moment nur auf diese Weise not-wendig und kostbar ist.

 

Liebe ist verschwenderisch. Wenn wir sie verschwenden, wird sie nicht weniger, sondern mehr. Dann breitet sie sich aus, wie der Duft des kostbaren Öls.

Der Kopf sagt Nein, aber die Liebe sagt Ja! „Herz über Kopf!“

In der Tat der namenlosen Frau spiegelt sich die Liebe Gottes wieder. Auch Gottes Liebe ist verschwenderisch. Auch Gottes Liebe ist unvernünftig - oder haben wir sie uns etwa verdient ? – und gerade darin ist sie unermesslich kostbar? Die Frau verschenkt mit dem Öl Gottes Liebe.

Kostbar war der Moment, als Jesus sie bewahrt,
sie schützte und sie ehrte, als sie Danke hörte.

Kostbar war der Moment, als Gott den Raum betrat.

„Die Erinnerung an diese Tat wünsche ich mir nicht nur in der ganzen Welt, sondern auch in den engen Wänden unserer Häuser und Wohnungen – möge auch dort der Duft der verschwenderischen göttlichen Liebe einziehen. Möge Gott so unseren Blick weiten über unsere engen Grenzen hinaus. Auch die Coronaprobleme sollen und können unser Leben nicht bestimmen, denn Gott hat mehr mit uns vor.  Möge Gott uns so Kraft geben für den Weg der vor uns liegt. Und wenn Sie mögen, riechen Sie an einen schönen Parfum oder machen sich eine Duftlampe an, um sich daran zu erinnern.

Die Frau mit der verschwenderischen Liebe, sie wusste, was Jesus brauchte. Gott weiß, was wir brauchen in den Tagen unseres Leidens. Daran sollen wir uns heute erinnern - "zu ihrem Gedächtnis".“ **

Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

*Übersetzung der BasisBibel

** aus einer Predigt von Susanna Kschamer in den Göttinger Predigten im Internet zum 05.04.2020

 

Kostbar war der Moment

Kostbar war der Moment, als sie den Raum betrat,
das Salböl in den Händen, um Liebe zu verschwenden.

Kostbar war der Moment. Gepriesen, was sie tat.

Kostbar war der Moment, als sie mit leichtem Gang
die Mauer der Bedenken durchschritt, um Trost zu schenken.

Kostbar war der Moment, für sie ein Lobgesang.

Kostbar war der Moment, als sie das Siegel brach
und Duft das Haus erfüllte, sie zärtlich Ängste stillte.

Kostbar war der Moment, Erinnerung wirkt nach.

Kostbar war der Moment, als Jesus sie bewahrt,
sie schützte und sie ehrte, als sie Danke hörte.

Kostbar war der Moment, als Gott den Raum betrat.

Liedtext von Ilona Schmitz-Jeromin in: „Singt Jubilate“ Nr 109; Gesangbuch der Evgl. Kirche Berlin/Brandenburg/Lausitz

Judika, 29.03.2020; Mk. 10,35-45

35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.
36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder [b]euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: [a]Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;
40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;
44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

 

 

Liebe Gemeinde,

„Man kann es ja mal versuchen …“ – werden sich Jakobus und Johannes gedacht haben.
Jesus war gerade alleine im Haus.
Die anderen Jünger waren draußen.
Niemand von ihnen konnte sie also sehen oder hören.
Die Gelegenheit war günstig.
Und so sagten sich Jakobus und Johannes:
„Man kann es ja mal versuchen … schließlich musste man ja auch an später denken. Oft genug hatte Jesus vom Himmel gesprochen – und davon, dass er einmal ganz da sein wird – und dass die Erde dann nicht mehr sein wird – und dass uns dann nichts mehr von Gott trennt.
Man kann es ja mal versuchen. Denn nichts geht über eine gute Altersabsicherung – in diesem Leben hier und auch im Himmel.“

-

Ich gebe zu: Ich verstehe Jakobus und Johannes, denn es ist so menschlich, wie sie denken und handeln.
Dass sie dabei ihre Mit-Jünger ein wenig ausboten ist ebenfalls menschlich. Machen wir das nicht jeden Tag bei so vielen kleinen und großen Gelegenheiten ? Hier eine Info nicht weitergegeben ? Dort mehr Klopapier gekauft, als ich brauche? Und den ungeliebten Kollegen beim Chef auflaufen lassen ?
Das Spielchen ist alt – vielleicht so alt, wie es uns Menschen gibt.
Der eigene Vorteil ist uns wichtiger als das Wohl aller.
„Einmal an sich denken kann doch nicht schaden“ – insbesondere, wenn wir es mit der Bemerkung rechtfertigen: „Sonst tut es ja keiner – eben an mich denken.“

-

„Man kann es ja mal versuchen und die Gelegenheit war günstig.“
Jakobus und Johannes wollten Jesus das Versprechen abringen, dass sie im Himmel die Ehrenplätze rechts und links neben ihm bekommen sollten.
Wie gesagt: „Zukunftsvorsorge kann doch keine Fehler sein. Oder doch ?“

-

Die Antwort Jesu ist eine mehrteilige.

-

Als erstes weist er mit dem Bild vom Kelch und der Taufe auf den Weg hin, den er noch zu gehen hatte, bevor das mit dem Himmel überhaupt in Betracht kommen konnte.
„Könnt ihr das Leid und die Ablehnung und am Ende auch den Tod ebenfalls auf euch nehmen, die ich zu tragen habe ?“ – fragt Jesus.
Und da die Frage nach den Ehrenplätzen gestellt war, gab es jetzt kein Zurück mehr für die beiden Jünger.
Sie hatten sich für einen Rückzieher schon zu weit aus dem Fenster gelehnt.
„Ja, das können wir.“ – antworten sie gemeinsam – und vielleicht ein bisschen mutiger und mit mehr Enthusiasmus, als eigentlich in ihnen steckte.
Und so widerspricht Jesus erst einmal nicht, sondern er bestätigt, dass sie als seine Jünger ebenfalls noch einen schweren Weg vor sich haben.

-

Und dann kommt der zweite Teil der Antwort Jesu.
Sie ist für Jakobus und Johannes ein wenig ernüchternd.
Denn Jesus sagt, dass er nicht über die Vergabe dieser Ehrenplätze zu bestimmen hat.
Das sei Gottes Aufgabe.
Und Gott lässt sich ja bekanntlich nicht manipulieren und auch nicht hereinreden.

-

Soweit so gut. Aber: „Man konnte es ja mal probieren.“

-

Nur ist die Geschichte damit noch lange nicht zu Ende.
Denn es passierte, was passieren musste.
Obwohl alles so sorgfältig eingestielt war, bekamen die anderen Jünger diesen Vorstoß der beiden mit.
Und zu Recht wurden sie sauer.
Sollten sie da gerade gegeneinander ausgespielt werden ?
Wie gesagt: menschlich ist dies.
Aber was menschlich ist, ist deshalb noch lange nicht richtig.

--

Und jetzt sind wir beim dritten Teil der Antwort Jesu – dieser richtet sich nicht mehr nur an die beiden, sondern an alle.
Und er erklärt ihren, dass er für etwas anderes steht, als für das, was wir immer so gerne als „menschlich“ bezeichnen und uns damit selbst rechtfertigen wollen.
Weil es Jesus nicht um die Gesetze der Welt geht, sondern um den Willen Gottes, erklärt er ihnen den Unterschied zwischen dieser Welt und Gottes Welt.
Diese Welt ist durch Macht und Unterdrückung geprägt.
Herrscher unterdrücken.
Mächtige tun den ihnen Anvertrauen Gewalt an.
Das Kapital bestimmt, was getan wird.
Diejenigen mit dem größten Einfluss bestimmen, was rechtens ist.
Und wenn der eigene Vorteil nicht durch Politik zu erringen ist, dann eben mit Krieg und Unrecht.
Das sind die Gesetze der Welt – wir sehen sie leider an so vielen Stellen auf dieser Erde aktiv umgesetzt – und in diesen Tagen nicht zuletzt beim Klopapier, Mehl und den Nudeln.
Gottes Wille für diese Welt ist aber ein anderer.
„Wer unter euch groß sein will, der soll eurer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“ – sagt Jesus – und stellt damit die Gesetze der Welt auf den Kopf.
Oder sollte ich besser sagen: Eine auf dem Kopf stehende Welt stellt Jesus wieder auf die Füße ?

-

Wie dem auch sei: Daran sollen die Jünger sich orientieren.
Anstatt an sich zu denken – einander dienen und füreinander da sein.
Seine Zeit, seine Kraft und auch seine finanziellen Möglichkeiten dafür einsetzen, dass es möglichst vielen Menschen gut geht – das ist das Gegenteil von dem, was Jakobus und Johannes im Sinn hatten.
Sie hatten nämlich nur sich selbst im Sinn – und nicht die anderen.
Und bis heute gibt es gute Gedanken, die Jesu Anliegen unterstützen:
Der Gedanke „Eigentum verpflichtet“ – zum Beispiel.
Oder die berühmte Frage Kennedys: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frage, was du für dein Land tun kannst.“
Und Jesus bestätigt an anderer Stelle, dass es richtig ist, für andere – insbesondere für Hilfsbedürftige – etwas zu tun. Er bestätigt es mit dem Satz: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

-

Und ich finde: mit all diesen Worten stellt Jesus wirklich eine aus den Fugen geratene Welt wieder auf ihre Füße.
Und er fordert inmitten von Egoismus eine neue Solidarität ein, in der sich niemand zu schade dafür ist, sich auch einmal für einen anderen Menschen zum Diener und Knecht zu machen.
Stellen sie sich einmal vor, was passieren würde, wenn sich alle Menschen auf einmal auf diesen Weg rufen ließen ?Wie viel Unrecht würde es auf dieser Erde nicht mehr geben ?
Wie   viel Leid und Elend würde überwunden werden ?
Wie viel Kriege könnten beendet werden ?
Wie viel Streit über Lappalien würde plötzlich weggelächelt werden ?
Wie viele Kinder bekämen wieder eine Zukunft ?
Und wie viel menschlicher und herzlicher wäre unser Umgang miteinander ?

-

Aber so einfach ist das nicht.
Wer sich auf diesen Weg Jesu rufen lässt, der wird bei all denjenigen, die um ihre Privilegien bangen, auf Widerstand stoßen.
Jesus hatte dies ja erlebt – doch ist er diesen Weg trotzdem bis zur letzten Konsequenz gegangen.
Das bedenken wir ja gerade jetzt in der Passionszeit.
Und so sagt er am Ende dann auch:
„Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lassen, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“

-

Und was ist jetzt mit uns, die wir all dies heute hören und bedenken ?
Vielleicht sollten wir – wie Jakobus und Johannes – einfach sagen: „Man kann es ja mal versuchen.“ – aber nicht nach den Gesetzen der Welt nur seinen eigenen Vorteil zu suchen, sondern sich vielmehr einladen lassen, den Weg Jesu nachzugehen.
Wollen wir das einfach mal versuchen – gerade jetzt in der Passionszeit und in der Krise – weil in ihr die Gelegenheit besonders gut ist ?
Versuchen wir es – und lassen wir uns überraschen, dass wir dabei feststellen, dass wir nicht alleine sind.
Wir werden Glaubensgeschwister entdecken, die es ebenfalls versuchen.
Und wir werden Jesus an unserer Seite spüren.

Also:
„Versuchen wir es doch einfach mal.“

Amen.

Ihr Pfarrer Ulrich Klein

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