Andacht von Pfarrer Ulrich Klein vom 29. März - Evangelische Kirchengemeinde Gütersloh

Judika, 29.03.2020; Mk. 10,35-45

35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.
36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder [b]euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: [a]Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;
40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;
44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

 

 

Liebe Gemeinde,

„Man kann es ja mal versuchen …“ – werden sich Jakobus und Johannes gedacht haben.
Jesus war gerade alleine im Haus.
Die anderen Jünger waren draußen.
Niemand von ihnen konnte sie also sehen oder hören.
Die Gelegenheit war günstig.
Und so sagten sich Jakobus und Johannes:
„Man kann es ja mal versuchen … schließlich musste man ja auch an später denken. Oft genug hatte Jesus vom Himmel gesprochen – und davon, dass er einmal ganz da sein wird – und dass die Erde dann nicht mehr sein wird – und dass uns dann nichts mehr von Gott trennt.
Man kann es ja mal versuchen. Denn nichts geht über eine gute Altersabsicherung – in diesem Leben hier und auch im Himmel.“

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Ich gebe zu: Ich verstehe Jakobus und Johannes, denn es ist so menschlich, wie sie denken und handeln.
Dass sie dabei ihre Mit-Jünger ein wenig ausboten ist ebenfalls menschlich. Machen wir das nicht jeden Tag bei so vielen kleinen und großen Gelegenheiten ? Hier eine Info nicht weitergegeben ? Dort mehr Klopapier gekauft, als ich brauche? Und den ungeliebten Kollegen beim Chef auflaufen lassen ?
Das Spielchen ist alt – vielleicht so alt, wie es uns Menschen gibt.
Der eigene Vorteil ist uns wichtiger als das Wohl aller.
„Einmal an sich denken kann doch nicht schaden“ – insbesondere, wenn wir es mit der Bemerkung rechtfertigen: „Sonst tut es ja keiner – eben an mich denken.“

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„Man kann es ja mal versuchen und die Gelegenheit war günstig.“
Jakobus und Johannes wollten Jesus das Versprechen abringen, dass sie im Himmel die Ehrenplätze rechts und links neben ihm bekommen sollten.
Wie gesagt: „Zukunftsvorsorge kann doch keine Fehler sein. Oder doch ?“

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Die Antwort Jesu ist eine mehrteilige.

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Als erstes weist er mit dem Bild vom Kelch und der Taufe auf den Weg hin, den er noch zu gehen hatte, bevor das mit dem Himmel überhaupt in Betracht kommen konnte.
„Könnt ihr das Leid und die Ablehnung und am Ende auch den Tod ebenfalls auf euch nehmen, die ich zu tragen habe ?“ – fragt Jesus.
Und da die Frage nach den Ehrenplätzen gestellt war, gab es jetzt kein Zurück mehr für die beiden Jünger.
Sie hatten sich für einen Rückzieher schon zu weit aus dem Fenster gelehnt.
„Ja, das können wir.“ – antworten sie gemeinsam – und vielleicht ein bisschen mutiger und mit mehr Enthusiasmus, als eigentlich in ihnen steckte.
Und so widerspricht Jesus erst einmal nicht, sondern er bestätigt, dass sie als seine Jünger ebenfalls noch einen schweren Weg vor sich haben.

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Und dann kommt der zweite Teil der Antwort Jesu.
Sie ist für Jakobus und Johannes ein wenig ernüchternd.
Denn Jesus sagt, dass er nicht über die Vergabe dieser Ehrenplätze zu bestimmen hat.
Das sei Gottes Aufgabe.
Und Gott lässt sich ja bekanntlich nicht manipulieren und auch nicht hereinreden.

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Soweit so gut. Aber: „Man konnte es ja mal probieren.“

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Nur ist die Geschichte damit noch lange nicht zu Ende.
Denn es passierte, was passieren musste.
Obwohl alles so sorgfältig eingestielt war, bekamen die anderen Jünger diesen Vorstoß der beiden mit.
Und zu Recht wurden sie sauer.
Sollten sie da gerade gegeneinander ausgespielt werden ?
Wie gesagt: menschlich ist dies.
Aber was menschlich ist, ist deshalb noch lange nicht richtig.

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Und jetzt sind wir beim dritten Teil der Antwort Jesu – dieser richtet sich nicht mehr nur an die beiden, sondern an alle.
Und er erklärt ihren, dass er für etwas anderes steht, als für das, was wir immer so gerne als „menschlich“ bezeichnen und uns damit selbst rechtfertigen wollen.
Weil es Jesus nicht um die Gesetze der Welt geht, sondern um den Willen Gottes, erklärt er ihnen den Unterschied zwischen dieser Welt und Gottes Welt.
Diese Welt ist durch Macht und Unterdrückung geprägt.
Herrscher unterdrücken.
Mächtige tun den ihnen Anvertrauen Gewalt an.
Das Kapital bestimmt, was getan wird.
Diejenigen mit dem größten Einfluss bestimmen, was rechtens ist.
Und wenn der eigene Vorteil nicht durch Politik zu erringen ist, dann eben mit Krieg und Unrecht.
Das sind die Gesetze der Welt – wir sehen sie leider an so vielen Stellen auf dieser Erde aktiv umgesetzt – und in diesen Tagen nicht zuletzt beim Klopapier, Mehl und den Nudeln.
Gottes Wille für diese Welt ist aber ein anderer.
„Wer unter euch groß sein will, der soll eurer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“ – sagt Jesus – und stellt damit die Gesetze der Welt auf den Kopf.
Oder sollte ich besser sagen: Eine auf dem Kopf stehende Welt stellt Jesus wieder auf die Füße ?

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Wie dem auch sei: Daran sollen die Jünger sich orientieren.
Anstatt an sich zu denken – einander dienen und füreinander da sein.
Seine Zeit, seine Kraft und auch seine finanziellen Möglichkeiten dafür einsetzen, dass es möglichst vielen Menschen gut geht – das ist das Gegenteil von dem, was Jakobus und Johannes im Sinn hatten.
Sie hatten nämlich nur sich selbst im Sinn – und nicht die anderen.
Und bis heute gibt es gute Gedanken, die Jesu Anliegen unterstützen:
Der Gedanke „Eigentum verpflichtet“ – zum Beispiel.
Oder die berühmte Frage Kennedys: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frage, was du für dein Land tun kannst.“
Und Jesus bestätigt an anderer Stelle, dass es richtig ist, für andere – insbesondere für Hilfsbedürftige – etwas zu tun. Er bestätigt es mit dem Satz: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

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Und ich finde: mit all diesen Worten stellt Jesus wirklich eine aus den Fugen geratene Welt wieder auf ihre Füße.
Und er fordert inmitten von Egoismus eine neue Solidarität ein, in der sich niemand zu schade dafür ist, sich auch einmal für einen anderen Menschen zum Diener und Knecht zu machen.
Stellen sie sich einmal vor, was passieren würde, wenn sich alle Menschen auf einmal auf diesen Weg rufen ließen ?Wie viel Unrecht würde es auf dieser Erde nicht mehr geben ?
Wie   viel Leid und Elend würde überwunden werden ?
Wie viel Kriege könnten beendet werden ?
Wie viel Streit über Lappalien würde plötzlich weggelächelt werden ?
Wie viele Kinder bekämen wieder eine Zukunft ?
Und wie viel menschlicher und herzlicher wäre unser Umgang miteinander ?

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Aber so einfach ist das nicht.
Wer sich auf diesen Weg Jesu rufen lässt, der wird bei all denjenigen, die um ihre Privilegien bangen, auf Widerstand stoßen.
Jesus hatte dies ja erlebt – doch ist er diesen Weg trotzdem bis zur letzten Konsequenz gegangen.
Das bedenken wir ja gerade jetzt in der Passionszeit.
Und so sagt er am Ende dann auch:
„Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lassen, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“

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Und was ist jetzt mit uns, die wir all dies heute hören und bedenken ?
Vielleicht sollten wir – wie Jakobus und Johannes – einfach sagen: „Man kann es ja mal versuchen.“ – aber nicht nach den Gesetzen der Welt nur seinen eigenen Vorteil zu suchen, sondern sich vielmehr einladen lassen, den Weg Jesu nachzugehen.
Wollen wir das einfach mal versuchen – gerade jetzt in der Passionszeit und in der Krise – weil in ihr die Gelegenheit besonders gut ist ?
Versuchen wir es – und lassen wir uns überraschen, dass wir dabei feststellen, dass wir nicht alleine sind.
Wir werden Glaubensgeschwister entdecken, die es ebenfalls versuchen.
Und wir werden Jesus an unserer Seite spüren.

Also:
„Versuchen wir es doch einfach mal.“

Amen.

Ihr Pfarrer Ulrich Klein

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