Andacht zum Sonntag, 28.Juni 2020 von Pfarrer Ulrich Klein - Evangelische Kirchengemeinde Gütersloh

Gedanken zum 3. Son. n. Trin., 28.06.2020, und zu Micha 7,18-20 u. Lukas 15,1-3+11-32

„Jesus sagt: Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“          Lk. 19,10

„Suchen und Finden“ – darum geht es in diesem Wochenspruch.

Und um „Suchen und Finden“ geht es in den Texten, die diesem Sonntag zugeordnet sind – und das ist unter anderem fast das ganze 15. Kapitel des Lukasevangeliums. Als Theologiestudenten haben wir immer gesagt: „Das ist das Kapitel der verlorenen Menschen, Tiere und Gegenstände.“ – oder um einige Stichworte zu nennen: „Das verlorene Schaf, der verlorene Groschen und der verlorene Sohn.“

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Haben sie auch schon einmal etwas verloren ?
Einen Schlüssen vielleicht ? Das kann ganz schön ärgerlich sein, wenn man vor der verschlossenen Wohnungstür steht und nicht hereinkommt.
Manchmal sind es aber auch nur Kleinigkeiten. Wo war noch einmal die Schere ? Mein Vikariatsmentor pflegte in so einem Moment immer zu sagen: „Suchen hilft nichts. Nachdenken, wo man sie zuletzt gehabt oder gesehen hat.“

Aber es können auch wichtigere Dinge verloren gehen:
Eine Freundschaft oder eine Partnerschaft zum Beispiel.
Oder der Traum von einem bestimmten Beruf, der von einem auf den anderen Moment zerplatzte.

Und so erfahren wir Menschen auf unseren Lebenswegen immer wieder im Kleinen und im Großen, dass etwas verloren geht. Und manchmal sind es auch wir selbst, die wir uns verlieren. Das lesen wir im Gleichnis vom verlorenen Sohn – doch eigentlich müsste es das Gleichnis von den zwei verlorenen Söhnen heißen.

Und an diesem Sonntag der verlorenen Gegenstände, Tiere und Menschen hören wir von Jesus:
„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“
Dieses Versprechen gilt jetzt auch für uns.

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Doch das mit dem „Suchen und Finden“ ist so eine Sache.
Und zum Thema „Suchen und Finden“ lesen wir etwas sowohl im Prophetenbuch des Micha, als auch im Lukasevangelium. Sie können beide Texte ja einmal nachlesen.

Doch eigentlich ist die ganze Bibel ein Buch, in dem in vielfältiger Weise davon erzählt wird,

  • wie Gott uns Menschen nachgeht
  • wie er immer wieder vergibt, woran wir scheitern
  • wie seine Liebe sich durch schier Garnichts erschüttern lässt
  • wie seine Geduld mit uns unendlich zu sein scheint
  • und wie er einfach nicht von uns, seinen Geschöpfen, lassen kann
  • sondern am Ende immer mit offenen Armen auf uns wartet – wie der Vater in Jesu Gleichnis.

Kurz: die ganze Bibel ist so etwas wie die Liebeserklärung Gottes an uns – oder anders gesagt: Sie ist Gottes Liebesgeschichte mit uns – eine meist sehr einseitige Geschichte, in der er uns immer wieder neu nachgeht um uns zu finden.

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Und genau darum, dass Gott Menschen nachgeht und sie neu findet, geht es auch im Prophetenbuch des Micha.

Gott schickt Micha hier zu seinem Volk, das sich von ihm abgewendet hatte.
Und Gott legt ihm seine Worte in den Mund.
Es sind harte Worte des Gerichts.

Unheil soll über die Städte kommen.
Die Machthaber werden in ihrem unrechtmäßigen Handeln entlarvt.
Sie nehmen den einfachen Menschen ihre Äcker und ihr Hab und Gut weg.
Und für sie ist das Volk nur die Quelle ihrer eigenen maßlosen Bereicherung.
Sie rauben es aus.
Lassen sich bestechen.
Und leben dabei selbst in Saus und Braus.

Gnadenlos rechnet der Prophet im Auftrag Gottes mit den Städten im Land ab, mit den Regierenden, mit den Führenden der Gesellschaft, die sich an all dem Unrecht beteiligen – ja, am Ende rechnet er sogar mit den religiösen Führern ab, die zu allem schweigen – oder ebenfalls mitmachen.

Und auch über das einfache Volk bricht der Prophet den Stab, denn auch sie machen bei Lug und Trug mit wo sie nur können.

„Der beste unter ihnen sei wie ein Dornstrauch und der redlichste unter ihnen schlimmer als eine Dornenhecke“ – sagt der Prophet. Wir würden heute vielleicht sagen: „Der beste und redlichste ist wie Giersch im Garten.“

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Immer wenn ich in den Prophetenbüchern des Alten Testaments lese, dann denke ich: „Irgendwie kommt dir das alles bekannt vor.“
Und wenn ich anschließend in die Zeitung schaue oder Nachrichten höre, denke ich: „So einen Propheten, der schonungslos die Wahrheit sagt, den könnten wir heute auch ganz gut gebrauchen.“

  • „Black lives matter“ – würde er vielleicht auf seinem Plakat stehen haben.
  • Und neben Greta würde er sich für den Erhalt der Schöpfung einsetzen.
  • Er würde die Diktatoren unserer Zeit an ihre Verantwortung für die Menschen ihres Landes erinnern.
  • Den Terroristen vom IS oder von Boko Haram würde er sagen, dass ihre Gewalt und ihr Töten nicht durch auch nur irgendeine Religion auf dieser Erde zu rechtfertigen ist.
  • Und dass wir über unser Verhältnis zu billigem Fleisch nachdenken müssen würde er uns ebenfalls sagen.

So ein Prophet würde heute aber auch

  • strukturelles Unrecht anprangern und die Lieferketten hinterfragen
  • er würde uns sagen, dass wir für Menschenrechtsverletzungen mitverantwortlich sind, wenn wir Geschäfte mit Ländern machen, die Menschenrechte verletzten
  • er würde uns zwingen die Augen dafür zu öffnen, dass jede und jeder von uns Teil eines ungerechten Systems ist – eines Systems, das wir verändern könnten, wenn wir denn nur wollten.

Er würde keine Ausrede zulassen – kein: „Was kann ich schon tun ?“ und kein: „Da kann man nichts machen.“
Ja, er würde uns allen – Kleinen und Großen gleichermaßen – genauso auf die Füße treten, wie vor gut 2 ½ tausend Jahren es Micha getan hat.
Er würde uns einen Spiegel vorhalten, der schonungslos wiedergibt, was alles bei uns falsch läuft. Und dieser Spiegel würde keine Schönfärberei zulassen, sondern uns die Wirklichkeit ungeschminkt vor Augen malen.
Ja, damals und heute verstehen wir Menschen es hervorragend, uns selbst zu betrügen und Rechtfertigungen für unser Handeln zu finden, das eben nicht zu rechtfertigen ist.

Viel zu oft verlieren wir Menschen so uns selbst – und wir verlieren Gott, weil wir uns von ihm abwenden.

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Aber Gott wäre nicht Gott, wenn diese harten prophetischen Worte seine letzten wären. Und so kann Micha am Ende seines Prophetenbuchs eben auch sagen:

„Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat gefallen an Gnade ! Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und all unsere Sünden in die Tiefe des Meeres werfen. Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unseren Vätern vorzeiten geschworen hast.“  ( Micha 7,18-20 )

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Vom „Suchen und Finden“ handeln diese Worte. Von Gottes Suchen – und wie er seine Menschen immer wieder neu dadurch findet, dass er ihnen nachgeht und ihnen gnädig ist. Er räumt weg, was wir aufgebaut haben und was uns von Gott, voneinander und auch von uns selbst trennt.

Und er erneuert so immer wieder neu das Versprechen, das er schon den Vorvätern gegeben hat.

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Micha war nicht der letzte Prophet, den Gott zu seinen Menschen geschickt hat.
Immer wieder waren welche nötig.

Und zuletzt ist Gott in Jesus Mensch und unser Bruder geworden – auch wieder, um uns zu suchen und zu finden.

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Und dann ?
Als von Gott neu in den Arm genommene Menschen können wir doch nicht einfach so weitermachen, wie bisher.
Das gilt auch für den verlorenen Sohn, von dem Jesus im Gleichnis erzählt hat. Leider sagt er kein Wort darüber, wie diese Erfahrung ihn verändern hat und wie sein weiteres Leben dann wohl ausgesehen hat.

Aber ich stelle mir vor, dass er von dem Tag an so gelebt hat, dass andere auf ihn aufmerksam geworden sind.

Ja, ich denke, dass er auffiel – durch das, was er tat – und mehr noch durch all das, bei dem er nicht mehr gedankenlos mitmachte.

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Und solche Menschen dürfen wir ebenfalls sein:
Menschen, die auffallen,
Menschen, die sich einmischen,
Menschen, die Unrecht beim Namen nennen,
Menschen, die sensibel sind für andere – auch für den großen Bruder, der ja zuerst gar nicht glücklich über die Rückkehr seines verlorenen Bruders war,
Menschen, die selbst für andere zu Prophetinnen und Propheten werden.

Und wenn sie jetzt sagen: „Das kann ich nicht.“ Dann sagen sie etwas Richtiges.
Wir können das nicht von uns aus.
Aber als von Gott gesuchte und gefundene können wir das und noch viel mehr, weil wir nicht alleine sind.

Amen.

Ihr Pfarrer Ulrich Klein

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